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Warum gibt es bei Siemens zwei Belegschafts­aktionärsvereine?

8.1.2023

08.01.2023

Der Verein von Belegschaftsaktionären in der Siemens AG wurde 1994 ins Vereinsregister eingetragen. Seither ist der Verein ein wichtiges Sprachrohr der Belegschaft auf den Hauptversammlungen und in öffentlichen Medien und erfreut sich einer stetig wachsenden Zahl von Kollegen und Kolleginnen, die sich durch den Verein auf den Hauptversammlungen vertreten lassen.

Trotz enger Zusammenarbeit des Vereins mit der IG Metall und der Hans-Böckler-Stiftung des DGB ist eine Unabhängigkeit von den Arbeitnehmervertretern erforderlich, weil die Einwirkungsmöglichkeiten von Aktionären völlig anders strukturiert sind als die Mitbestimmungsmöglichkeiten. Ähnliches gilt für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, sie unterliegen nicht nur einer Schweigepflicht, sie werden vernünftigerweise das Bestreben des Unternehmens nach einstimmigen Beschlüssen für Kompromisse ausnutzen. Obgleich diese Kompromisse unter den gegebenen Umständen die bestmöglichen Lösungen darstellen können, muss es möglich sein, sie inhaltlich zu kritisieren. An drei Beispielen soll aufgezeigt werden, was damit gemeint ist:

1. Das SFF (Siemens Financial Framework) steuert Investitionen zu den margenträchtigsten Vorhaben. Diese müssen aber nicht die zukunftsträchtigen sein. Entsprechend scharf haben wir das zwischenzeitlich etwas modifizierte SFF kritisiert. Unabhängig davon, welche Zugeständnisse die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat dem Unternehmen für deren Zustimmung abringen konnten, muss das SFF sachlich kritisierbar sein. Es reicht nicht, plakativ „Mensch vor Marge“ zu fordern, wenn das interne Steuerungssystem die Investitionen auf die kurzfristig rentabelsten Projekte lenkt und andere aushungern lässt. Siehe unsere Stellungnahme.

2. Das Geschäft mit großen Gasturbinen ist wegen der Umweltdiskussion völlig eingebrochen und musste tatsächlich restrukturiert werden. Dabei sollte jedoch die Bedeutung von Gasturbinen bei der Dekarbonisierung der Energieversorgung unabhängig von der Stimmungslage in Talkshows fakten- und kenntnisbasiert berücksichtigt werden. Arbeitnehmervertreter können dabei Interessensausgleiche gestalten und bei den interessensausgleichen zur Restrukturierung des Turbinengeschäfts wurde auch gute Arbeit geleistet. Die Belegschaftsaktionäre haben darüber hinaus die unternehmerische Kurzsichtigkeit thematisiert. Was Fachleute selbstverständlich wussten und wir 2017 in einer Presseerklärung veröffentlicht haben, ist heute Allgemeingut, hatte aber bei den Überlegungen des damaligen CEO keinen Raum. Siehe unsere Pressemitteilung sowie unseren Gegenantrag.

3. Vermarktung des Markennamens
Unter Joe Kaeser wurde 2019 die Vermarktung des Markennamens Siemens an eigene Konzerngesellschaften eingeführt. Die Marke Siemens wurde an eine eigens dazu gegründete Konzerngesellschaft übertragen. Dies führte zu einem sonstigen betrieblichen Ertrag in Höhe von 9,5 Mrd. €. Dies ließ sich nutzen, um die Dividende anzuheben. Die Bilanzsumme wurde also nur durch einen Trick erhöht. Seitdem zahlt die Siemens AG an die Siemens Trademark hohe dreistellige Millionenbeträge und erzeugt dauerhaft laufende Kosten.

Sind die Belegschaftsaktionäre gewerkschaftskritisch oder gar gewerkschaftsfeindlich?

Diese Frage stellt sich, weil die Spitze des Gesamtbetriebsrates (GBR) im Einvernehmen mit dem zuständigen Bezirksvorsitzenden der IG Metall im Jahr 2015 den Verein WfS angeregt hat und diesen seither tatkräftig unterstützt. Gewerkschaftsfeindlichkeit wird man den Belegschaftsaktionären jedoch nicht vorwerfen können: Viele Mitglieder des Vereins von Belegschaftsaktionären sind langjährige Gewerkschaftsmitglieder, Betriebsräte, aktive und ehemalige Mitglieder des Gesamtbetriebsrates und des Konzernbetriebsrates sowie ehemalige Vertreter der Arbeitnehmer in Aufsichtsräten des Konzerns. Es gab immer eine gute Zusammenarbeit zwischen den Belegschaftsaktionären und der Gewerkschaft, die beispielsweise hier belegt ist. Siehe Studie der Hans-Böckler-Stiftung.

Anscheinend wird eine sachliche Kritik an der Unternehmensführung als Kritik an der Arbeit der Arbeitnehmervertretungen gewertet. Dies ist aber ein Missverständnis, da aufgrund ihrer Erfahrungen den Vorständen des Vereins von Belegschaftsaktionären klar ist, dass die Arbeitnehmervertreter einem anderen gesetzlichen Rahmen unterliegen als Mitarbeiter und ehemalige Mitarbeiter oder Aktionäre.

Aus unserer Sicht wird eindeutig eine Grenze überschritten, wenn IG Metall-Aufsichtsratsmitglieder einseitig einen der beiden Belegschaftsaktionäre unterstützen oder für den Verein WfS werben, wie kürzlich in einem Schreiben an Mitarbeiter(innen) geschehen. Solches Vorgehen widerspricht aus unserer Sicht den Grundsätzen 10/20/21 des Deutschen Corporate Governance Kodex, aber auch dem Aktiengesetz (§53a)

Die Grundvorstellung, dass die Arbeitnehmer mit einer Stimme sprechen sollten, hat sicher seine Berechtigung. Dieses Prinzip über die Arbeitnehmer-Vertretungsorgane hinaus auszuweiten und selbst Aktionärsvertreter auf eine einheitliche Sprache verpflichten zu wollen, ist jedoch zumindest problematisch. Vielmehr kann und sollte man in der freien sachlichen Kritik eine Bereicherung sehen, die uns dem gemeinsamen Ziel näherbringt.