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Gestaltungskraft und Weitblick sind nötig

26.1.2019

26.01.2019

Die Division Power and Gas ist in schwerem Fahrwasser, weil die Nachfrage nach kombinierten Gas- und Dampf-Kraftwerken (GuD-Kraftwerken) und großen Gasturbinen in Europa weitgehend zum Erliegen kam. Die Belegschaftsaktionäre haben in Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen betroffener Standorte bereits zur Hauptversammlung im Januar 2018 (siehe Panoramasendung) die Position vertreten, dass große Gasturbinen ein wichtiger Baustein einer funktionierenden und CO2-reduzierten Energieversorgung sein werden, auch wenn derzeit kaum eine Nachfrage nach ihnen besteht. 

Kolleginnen und Kollegen aus Görlitz übergaben vor der Hauptversammlung im Januar 2018 den Belegschaftsaktionären ein Zukunftspapier zur Weitergabe an Joe Kaeser.

Zukunftspapier Goerlitz

Ein Erfolg des deutschen Sonderweges in der Energieversorgung ist die Förderung von Photovoltaik und Windenergie. Derzeit werden 38% des Stroms durch Wind und Sonne gewonnen. Allgemein wird die Ansicht vertreten, man müsse den Zuwachs an Windanlagen und Solarpanelen lediglich weiterentwickeln und Großkraftwerke würden sich erübrigen. Diese Ansicht hat auch im Siemens-Management Fuß gefasst, sodass die Meinung besteht, in Deutschland würden nur noch kleine Gasturbinen benötigt, die schnell zu- und abgeschaltet werden können. Dieser Beitrag hat das Ziel, auf die Bedeutung großer Gasturbinen im mittelfristigen Zeithorizont hinzuweisen, weil kleine, schnell zuschaltbare Gasturbinen nicht jene Wirkungsgrade erreichen, die möglich und notwendig sind, um unsere eingegangenen Verpflichtungen zur Einsparung von Treibhausgasen zu erfüllen. Ein kontinuierlicher Betrieb von GuD-Kraftwerken ist zum Erreichen der hohen Wirkungsgrade, aber auch für deren Wirtschaftlichkeit nötig. Die Komponenten der Energiewende müssen tatsächlich ineinandergreifen. Das Gesetz zu erneuerbaren Energien (EEG) verteilt die Lasten der Netzstabilisierung einseitig, was aus unserer Sicht ein Fehler ist. Die Meinung, dass ein intelligentes Netz das Problem schon irgendwie lösen werde, erinnert mehr an den Berliner Flughafen als an ein Vorbild/Schaufenster (siehe SINTEG-Jahreskonferenz 2018).

Bei GuD-Kraftwerken werden die Abgase der Gasturbine zur Dampferzeugung genutzt und damit eine nachgeschaltete Dampfturbine betrieben, sodass sich Gesamtwirkungsgrade bis zu 65% ergeben. Für eine Kilowattstunde Strom werden in GuD-Kraftwerken ca. 0,33 kg CO2 freigesetzt, Braunkohlekraftwerke setzen dafür mehr als das Dreifache frei, nämlich ca. 1,1 kg. Das liegt an der geringeren Energiedichte von Braunkohle gegenüber Naturgas und an dem geringeren Wirkungsgrad im Vergleich zu GuD-Kraftwerken. Kleine Gasturbinen werden ohne nachgeschaltete Dampfturbinen betrieben, sie weisen deshalb geringere Wirkungsgrade auf, sodass der entscheidende Vorteil der CO2-Reduktion nicht voll ausgeschöpft werden kann (siehe Statistik-Link).

Die Zuversicht, dass fossile Kraftwerke nicht mehr benötigt werden, wird vom rasanten Wachstum der installierten Leistung von Windkraftanlagen und Solarpanelen beflügelt. Aufs Jahr bezogen bräuchte man für Deutschland jedoch Energiespeicher von etwa 7 TWh, um trotz optimalem Verbrauchsmanagement eine sichere ganzjährige Stromversorgung mit Solar- und Windenergie zu ermöglichen (Zahlenbasis 2014). Da diese Speicher als Pumpspeicherseen in Deutschland nicht realisierbar sind, hält man fossile Kraftwerke zusätzlich vor. Fossile Kraftwerke müssen fehlende Energiespeicher ersetzen und sind eine notwendige Komponente des deutschen Weges zum Umbau der Energieversorgung. Die Problematik der saisonalen Versorgungssicherheit wird durch Vergrößern der installierten Leistung an erneuerbaren Energieträgern nicht beseitigt, sondern lediglich tendenziell verringert. Mehr installierte Leistung erneuerbarer Energieträger vergrößert das Problem kurzfristiger Produktionsspitzen (siehe Studie von Prof. Hans Werner Sinn vom Juni 2016).

Da in überschaubaren Zeiträumen nicht auf fossile Energieträger verzichtet werden kann, ist es sinnvoll, Kohlekraftwerke durch saubere GuD-Kraftwerke zu ersetzen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann das geschieht! Tatsache ist allerdings, dass moderne GuD-Kraftwerke wie Irsching II als „Kaltreserve“ nicht betrieben werden, weil sie betriebswirtschaftlich teurer sind als Braunkohlekraftwerke. Open Grid Europe geht in seinem Politikerbrief 2/2018 davon aus, dass die Energiewende nur mit Gaskraftwerken gelingen kann und Naturgas sukzessive durch „grüne Gase“ ersetzt werden wird, sodass die Energieversorgung bis 2050 klimaneutral erfolgen könnte. Bei den „grünen Gasen“ handelt es sich um Wasserstoff-Methan-Mischungen, die synthetisch aus überschüssigem Strom im großen Maßstab gewonnen werden können (Power to Gas). Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass ausreichend große Gasspeicherkapazitäten bereits vorhanden sind (siehe Politikerbrief 2/2018).

Ohne politische Intervention werden steigende Preise für CO2-Zertifikate in nicht allzu ferner Zukunft GuD-Kraftwerke rentabel machen. Die Preise für CO2-Zertifikate haben sich in Jahresfrist vervielfacht. Am 26.10.2018 musste man für 1 kWh Strom aus einem GuD-Kraftwerk CO2-Berechtigungsscheine für 0,72 Cent kaufen, um die anfallenden 0,33 kg CO2 emittieren zu dürfen. Für die gleiche Menge Strom aus Braunkohle müssen Zertifikate für 1,1 kg CO2 gekauft werden, der Preis dafür betrug 2,41 Cent. Die reinen Energiekosten für 1 kWh Strom aus GuD-Kraftwerken beliefen sich am Stichtag auf 2,2 Cent. Wenn man Kosten der Braunkohleförderung und die anschließende Renaturierung der Abbaugebiete einrechnet, sind die Unterschiede in den Betriebskosten weitgehend ausgeglichen. Ohne Kohleförderung und Kostenexternalisierung gehen Studien (siehe Studie PEGE) bereits jetzt vom Erreichen der Rentabilität von GuD-Kraftwerken aus (unter Kostenexternalisierung versteht man hier das Abwälzen von Kosten auf die Gemeinschaft durch die Nicht-Bilanzierung der verursachten Umweltschäden und Nutzung der Infrastruktur).

Der Königsweg, CO2-Emissionen schnell und effizient zu reduzieren, ist der Ersatz der Braunkohlekraftwerke durch GuD-Kraftwerke. GuD-Kraftwerke sind zumindest eine Brückentechnologie. Aus unserer Sicht fehlt es daher an Weitblick, wenn das Siemens-Management das Ende der großen Gasturbinen kommen sieht, zumal bei kleineren Gasturbinen die nachgeschaltete Dampferzeugung nicht wirtschaftlich ist, was die CO2-Effizienz reduziert.

Der Anstieg der installierten Leistung für erneuerbare Energie ist zu begrüßen. Mit dieser Entwicklung steigt jedoch die Notwendigkeit, deren Strombeiträge zu glätten, weil den Bedarf übersteigende Stromspitzen das Netz ebenso destabilisieren wie Versorgungsengpässe. GuD-Kraftwerke können Bedarfsschwankungen ausgleichen, brauchen aber für einen effizienten und wirtschaftlichen Betrieb fest zugewiesene Versorgungsanteile. Die gesetzlich vorgeschriebene bevorzugte Einspeisung erneuerbarer Strombeiträge ist deshalb einzuschränken (siehe Vortrag von Prof. Hans-Werner Sinn an der LMU München, Dez. 2018).

Derzeit werden Überkapazitäten mit negativen Strompreisen an der Börse gehandelt und exportiert. Im Klartext heißt das, dass man für die Entsorgung des Stromes Geld bezahlt. 2014 hatte man an 90 Tagen zeitweise negative Strompreise. Dieser Stromexport, auf den manche mit Stolz verweisen, ist in Wahrheit der Import einer Entsorgungsdienstleistung. Dieses Problem wird ohne Glättung mit wachsender installierter Leistung größer. Projekte, die mit überschüssigem Strom effizient Wasserstoff und Methan erzeugen, sind aus unserer Sicht die richtige Antwort auf das Problem. Stromspitzen und starke Fluktuationen werden dadurch sinnvoll genutzt. Das dabei entstehende Methan kann im Erdgasnetz gespeichert werden, Wasserstoff darf zu einem kleinen Prozentsatz beigemischt werden, kann aber eigenständiger Nutzung zugeführt werden (siehe Studie von Volker Quaschning).

Notwendig ist, die öffentliche Debatte mit Sachinformationen in realistische Bahnen zu lenken. In dieser Situation vermissen wir Lobbyarbeit, die eine Orientierungshilfe sein könnte und für Bodenhaftung sorgen würde. Der eingeschlagene Weg in Energiefragen ist von Partikularinteressen überlagert und verdrängt, dass GuD-Kraftwerke jährlich 70 Millionen Tonnen CO2 einsparen könnten (siehe WELT-Artikel). Deshalb ist aus unserer Sicht wichtig, dass wir die Technologieführerschaft auch bei den großen Gasturbinen sichern, obwohl die Margen nicht den überzogenen Zielvorstellungen entsprechen werden!